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[System] TALISMAN ADVENTURES

Begonnen von Argamae, 02. Mai 2021, 23:20:43

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Argamae

So, nachdem ich nun mein Grundregelwerk von TALISMAN ADVENTURES am Wochenende erhalten habe, konnte ich schon ausgiebig darin herumschmökern und möchte ein paar Ersteindrücke vermitteln und einen Vergleich zum bereits seit über einem Jahr erhältlichen Playtest-Guide anstellen. Vorab nochmal zur Erinnerung: dieses Rollenspiel ist derzeit nur auf Englisch erhältlich - auch wenn es von Pegasus kommt. Ob und wann es eine deutsche Version gibt, ist unklar. Ursprünglich war eine Veröffentlichung des engl. Buches im letzten Jahr angedacht, eine deutsche Fassung wurde für 2021 angeteasert. Nun haben wir aber fast Mitte 2021 und erst jetzt erscheint weltweit das englischsprachige Werk. Wie üblich wird sich das wohl am internationalen Erfolg festmachen, schätze ich.



Zunächst einmal entspricht das Werk den (hohen) Standards, die man von Pegasus-Regelbüchern gewohnt ist. Gute Bindung, klares Layout, ansprechende Illus - sofern man den bunten Fantasystil des zugrundeliegenden Brettspiels in seiner letzten Edition mochte. Und tatsächlich war das Brettspiel wirklich die Grundlage! Das merkt man an der Weltbeschreibung, die tatsächlich das in drei Ebenen unterteilte Spielbrett von Talisman in eine mehr oder minder offene Fantasyumgebung umsetzt. Es gibt die Legende von der "Krone der Herrschaft" und auf der halbinselartigen Karte herrschen unterschiedliche Klimazonen direkt nebeneinander (bzw. eben von einem großen Fluss unterteilt). Es gibt "Die Stadt", "die Höhle des Hexenmeisters", "die Wächterbrücke", "das Schloß" und eben viele andere Örtlichkeiten, auch aus Talisman-Erweiterungen, die den gleichnamigen Feldern des Brettspiels entnommen sind. Das ist erstmal witzig und gleichermaßen seltsam - ebenso die Geschichte der Talisman-Welt, in der eine Art "Schöpfer-Zauberer" für sehr vieles verantwortlich zeichnet. Wie gut das funktioniert, hängt sicherlich auch davon ab, inwieweit sich die Spieler*Innen darauf einlassen können/wollen. Ich habe mir noch kein abschließendes Urteil gebildet, doch es gefällt mir in jedem Fall besser als ein x-ter Aufguß einer 08/15-Historie, wie man sie aus hunderten EDO-Fantasywelten kennt.

Inhaltlich werden 7 Rassen Völker bzw. "Abstammungen" (engl. Ancestries) und 8 Charakterklassen angeboten - das sind leider nur 1 Volk und 1 Klasse mehr als im Playtest Guide. Da hätte ich etwas mehr erwartet. Es riecht schon nach zahlreichen Ergänzungsregeln mit neuen Optionen, ganz so wie man es vom Brettspiel kennt. Spielen kann man Zwerge, Elfen, Ghule, Menschen, Leywalker (sehen ein bißchen wie Satyre aus), Feen und Trolle. Ein buntes Potpourri. Als Klassen stehen zur Auswahl: Assassine, Druidin, Spielmann, Priesterin, Prophet, Kundschafterin, Sorcerer (Hexenmeister?), Diebin, Krieger und Wizard (Zauberer?). Wie auch im Brettspiel, verfügt jeder Charakter über die zwei Primärattribute STRENGTH und CRAFT (als Stärke und Talent im deutschen Talisman bekannt). Diese unterteilen sich jeweils noch in drei Unterattribute, die je nach Probe herangezogen werden. Die Erschaffung folgt einer Punkteverteilung, wobei die jeweiligen Startwerte für Stärke und Talent von der gewählten Klasse abhängen und dann von gewählten Volk modifiziert werden. Diese Werte stehen also fest - verteilen darf man dann das Doppelte des Hauptattributes auf die drei Unterattribute. Ähnlich D&D 5 hat man dann noch eine Auswahl, wie man seine Klasse gestalten möchte - je zwei Klassenfähigkeiten stehen fest, eine dritte obliegt dann der Wahl der Spielerin.
Der Rest der Erschaffung geht dann ausnehmend flott - auch die Grundausrüstung wird, mit ein paar Wahlmöglichkeiten, je nach Klasse vorgegeben. Mir gefällt das; es passt gut zum Brettspielvorbild und auch zum eher storygetriebenen Spielsystem. Was aber beileibe nicht heißt, dass TALISMAN ADVENTURES nicht auch "crunch" enthält. Aber auch der ist gut verdaulich und bietet sogar spannende Aspekte.

Wie man es sich denken kann, regiert ganz nach Vorlage der W6 das Geschehen. So wurde auch die entwickelte Spielmechanik "3D6 ADVENTURES SYSTEM" genannt.
Das Herzstück bildet also die Probe mit 3W6 plus diversen Modifikatoren gegen einen Schwierigkeitsgrad. So weit, so alt. Aber das System mischt ein paar interessante Konzepte mit ein. Grundsätzlich wirkt die Mechanik in Teilen "old-schoolig", aber mit modernen Designelementen (z.B. Spieler-Ressource) angereichert. In Kurzform:

2er Pasche/3er Pasche. Wird mit der Probe (Gesamtaugenzahl wird addiert) der Schwierigkeitsgrad erreicht, erzielt man einen Standarderfolg. Zeigen zwei der Würfel die gleiche Augenzahl und das Gesamtergebnis ist größer/gleich der Schwierigkeit, ist ein besonderer Erfolg gelungen. Zeigen alle Würfel die gleiche Augenzahl und man schafft auch noch die Schwierigkeit, dann darf man einen außergewöhnlichen Erfolg sein eigen nennen. Diese drei Erfolgsgrade zeigen sich besonders deutlich bei Kämpfen - bei Standarderfolgen verletzt man zwar seinen Gegner, doch dieser darf zurückschlagen. Bei besonderen Erfolgen fürchtet man in Kämpfen keine weiteren Auswirkungen des Gegners, und bei außergewöhnlichen Erfolgen kommt noch ein Sahnehäubchen oben drauf - z.B. Extraschaden u.ä. Bei normalen Fertigkeitsproben werden diese drei Grade dann in anderer Manier umgesetzt.

Der Kismet-Würfel und Fate. Einer der drei Würfel jeder Probe sollte eine andere Farbe besitzen, denn mit diesem wird der Aspekt des "Fate" (Schicksal) bestimmt. Zeigt er eine 1, wird dark fate (quasi Pech) generiert, zeigt er eine "6" wird light fate (quasi Glück) erzeugt. Dark Fate bekommt die Spielleiterin, Light Fate bekommt der Spieler/Held. Light Fate dient primär zur Aktivierung von besonderen Fähigkeiten oder lässt Würfel nachwerfen. Dark Fate erlaubt dem SL, die Bedrohungstufe von Feinden zu erhöhen oder aber Sonderfähigkeiten der Gegner zu verwenden.

Nur die Spieler würfeln! Tatsächlich nimmt der SL nur Würfel zur Hand, wenn er etwas per Zufall bestimmen möchte (etwa ein Tabellenergebnis). Zuletzt habe ich dieses Konzept in Monte Cooks Cypher System (liegt u.a. Numenéra zugrunde) gesehen - wo es auch gut funzt. Dies wirkt sich natürlich sehr zeitsparend auf Kämpfe aus, wie ich selbst in der Testrunde festgestellt habe. Aber es erfordert auch ein bißchen Eingewöhnung, wenn man als SL es einfach gewohnt ist, Gegenergebnisse zu erzeugen. Auch die Action-Ökonomie ist zunächst zu verinnerlichen, da sie von klassischen Abwicklungen (gerade in Kämpfen) deutlich abweicht. Was es aber auch (gut) macht, ist, die Action und Gangart ganz bei den Spieler*Innen zu belassen - sie stehen immer im Zentrum jeder Probe und über ihre Wurfergebnisse bestimmen sich alle Ausgänge.

So. Für heute soll es genug sein. Während ich das Regelwerk weiter durcharbeite, ergänze ich dann noch diesen Überblick.
In Memoriam Gary Gygax (1938-2008), Dave Arneson (1947-2009), Joe Dever (1956-2016), Greg Stafford (1948-2018), Terry K. Amthor (1958-2021) und Ingo Schulze (1977-2021)
|It's all fun and games - until somebody fails a saving throw!| D&D Meme

Christophorus

Da bin ich mal auf Dein Fazit gespannt - und auf eine Fortführung der letztjährigen Testrunde :)
»Ich glaube, mit D&D werde ich nicht mehr glücklich...« - Zitat Greifenklaue

Argamae

Zitat von: Christophorus am 05. Mai 2021, 21:39:34
Da bin ich mal auf Dein Fazit gespannt - und auf eine Fortführung der letztjährigen Testrunde :)

Danke, dass du die Runde erwähnst. Ich hätte nach wie vor Interesse. Allein, es klappt ja derzeit höchstens online.
In Memoriam Gary Gygax (1938-2008), Dave Arneson (1947-2009), Joe Dever (1956-2016), Greg Stafford (1948-2018), Terry K. Amthor (1958-2021) und Ingo Schulze (1977-2021)
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Greifenklaue

Waere für mich ein Grund, es nochmal online zu versuchen ... wobei neue Ausstattung...
"In den letzten zehn Jahren hat sich unser Territorium halbiert, mehr als zwanzig Siedlungen sind der Verderbnis anheim gefallen, doch nun steht eine neue Generation Grenzer vor mir. Diesmal schlagen wir zurück und holen uns wieder, was unseres ist.
Schwarzauge wird büssen."

Argamae

#4
MAGIE IM REICH VON TALISMAN ADVENTURES

Nicht umsonst trägt Talisman (das Brettspiel) im Original den Zusatz: The Magical Quest Game: Magie definiert und durchdringt die Spielwelt von Talisman. Die Abenteuerkarten von Talisman sind voller magischer Kreaturen, Zauber und Ereignisse. Wie wird das im Rollenspiel umgesetzt? Zunächst einmal die Zaubersprüche, die Charaktere im Brett- als auch im Rollenspiel erlernen können: sie sind in beiden Fällen an das Attribut CRAFT gekoppelt (im dt. Talisman "Talent" genannt). Zwei Formen, in denen man Zaubersprüche erlangen kann, heißen "Scrolls" und "Granted spells" (also Zauberspruchrollen und verliehene Zauber). Diese beiden Formen von Zaubern können von allen Klassen im Talisman-Rollenspiel verwendet werden, sofern Craft ausreichend hoch ist. Mindestens Craft 3 benötigt ein Charakter, um die niedrigste Kategorie von Spruchrollen wirken zu können (sofern diese entziffert worden ist). Bei den sogenannten verliehenen Zaubern (Einmaleffekte - sie entsprechen den Zauberkarten im Brettspiel) benötigt man ebenfalls mindestens Craft 3, um 1 solchen Zauber behalten und verwenden zu können. Dieses geht hoch bis zu 5 bewahrten Zaubern mit Craft 10. Einmal gewirkt, ist ein verliehener Zauber verloren.

Das Rollenspiel unterscheidet drei magische Künste oder Magieformen: Arcane (vergleichbar mit klassischer "Formelmagie", die etwa hermetische Magier wie ein Werkzeug verwenden), Mystic (Magie, die aus einer inneren Verbundenheit mit anderen Wesen oder durch Gebete im Einklang mit der Stimme der Weisheit manifestiert wird) sowie Nature (entsteht durch eine Verwurzelung mit der Natur und dem Nachahmen wilder Tierstimmen, oder die, falls man eher die Bande zur Feenwelt spürt, mittels sanfter Musik und eleganter, tänzerischer Gesten gewirkt wird). Hierin liegt auch die Quelle für die jeweilige Magieform: Arcane = intellektueller Fokus, Mystik = Kanalisierung der eigenen Spiritualität, und Nature = Kraftgewinnung aus der natürlichen Umwelt. Alle Zauberwirkerinnen benutzen ein Zauberbuch, das aber je nach Magieform ganz besondere Erscheinungsformen haben kann - vom klassischen Folianten über Liedersammlungen bis zu Runensteinen. Diese sind nur Zauberwirkerklassen zugänglich.

Spieltechnisch besitzen Zaubersprüche eine Reihe von Merkmalen, über die das Wirken eines Zaubers abgewickelt wird: Stufe (Basic/Intermediate/Advanced - ordnet auch die Schwierigkeit ein, den Zauber zu wirken), Art (wie oben beschrieben, wobei manche Zauber auch in mehr als eine Magieform fallen können), Seltenheit (eine Orientierung für Spielleiter, wie häufig der Zauber allgemein zu finden ist), Spruchpunktekosten (nur Zauberwirkerklassen besitzen diese Ressource), Aktion (ob das Wirken eine ganze Aktion ist, eine freie Aktion oder gar eine Reaktion), Schwierigkeit (die zu erreichende Summe auf dem Zauberwurf) und Verteidigungstest (praktisch der Rettungswurf, falls vorhanden, den ein Ziel dieses Zaubers schaffen muss).

Das Grundregelwerk bietet pro Magieform etwa 45 Zaubersprüche an, also ca. 130 Zauber insgesamt. Viele davon sind nach den Spruchkarten des Brettspiels benannt. Weiterhin wird eine Menge an magischen/mystischen Orten im Spielleiterkapitel eingeführt. Diese können während des Reiseabschnitts (auf den ich vielleicht nochmal eingehe, da er eine Besonderheit des Systems darstellt) entdeckt werden und entsprechen einigen der Ortskarten unter den Abenteuerkarten des Brettspiels - etwa der magische Teich, die Feenlichtung oder der Schrein. Eine kleine Tabelle gibt mögliche Ergebnisse an, falls ein Charakter mit dem entdeckten Ort interagieren will.

Soviel an dieser Stelle zu Magie in TALISMAN ADVENTURES.
In Memoriam Gary Gygax (1938-2008), Dave Arneson (1947-2009), Joe Dever (1956-2016), Greg Stafford (1948-2018), Terry K. Amthor (1958-2021) und Ingo Schulze (1977-2021)
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Argamae

#5
GESCHICHTSREVISIONISMUS... im wahrsten Sinne des Wortes!

Bei Lesen des Welthintergrunds im 2019 erschienenen Playtest Guide von TALISMAN ADVENTURES ist mir eine Diskrepanz gegenüber dem gleichen Abschnitt im vollständigen Grundregelwerk aufgefallen (die entscheidenen Stellen färbe ich ein). Zunächst die Stelle im Playtest Guide (Übersetzung des Ausschnitts von mir):

ZitatWährend der Zauberer fort war, gründeten der neue König und die Königin eine Familie: sieben tapfere Söhne und sieben schlaue Töchter. Als der Zauberer schließlich mit der Krone der Herrschaft auf seinem Haupt zurückkehrte, sah er, dass die Stämme der Menschheit sich entwickelt und für sich ein Auskommen geschaffen hatten. Nun verlangte er nach seiner eigenen Belohnung. Der Große Zauberer verlangte nach einer der Prinzessinnen, auf dass sie seine Braut würde. Ihm war gleich, welche es war.
Der König war entsetzt. Obgleich er sieben Töchter hatte, wollte er nicht eine einzige von ihnen an die Launen des Zauberers verlieren. So begann er, nach Ausflüchten zu suchen, indem er seine Töchter als heiratsunwürdig hinstellte. Der Zauberer jedoch war es gewohnt zu bekommen, wonach es ihm verlangte, koste es, was es wolle. Nicht einmal der Herr der Dunkelheit war in der Lage gewesen, ihn aufzuhalten. Und so zuckte der Zauberer nur mit den Schultern und machte eine Handbewegung. Der König verstummte, während sich sein Mund wie der einen Fisches öffnete und schloß. Nie wieder sollte er ein weiteres Wort sprechen.
Der Zauberer trat zur jüngsten Tochter hinüber, der schönsten von allen, und verlangte nach ihrer Hand für die Hochzeit. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und rannte tränenüberströmt fort. Der Zauberer überlegte, dass sie vielleicht tatsächlich zu jung für eine solch folgenreiche Entscheidung sei, und fragte die zweitjüngste Tochter. Doch auch sie lehnte ab. Nacheinander fragte der Zauberer nun jede Tochter, seine Frau zu werden, bis er schließlich die älteste Tochter vor sich hatte. Waren die anderen wenigstens sittsam und taktvoll in ihren Ablehnungen, so lachte die älteste über die Anfrage. "Dich heiraten?", spottete sie. "Ich denke kaum. Du bist alt, merkwürdig und hässlich. Ich liebe dich nicht im geringsten. Und ich könnte jemanden wie dich niemals ehelichen."
Der Zauberer wurde wütend. "Du wagst es, dich über mich lustig zu machen, sterbliches Mädchen?", höhnte er. "Ich habe dir all dies gegeben. Ich war es, der dein Volk aus den Ödlanden geführt hat. Ich war es, der dir ein lebenswertes Leben, ein fruchtbares Land und - vor allem - die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben hat. Und obwohl ich nur nach einer Kleinigkeit als Gegenleistung frage, verwehrst du dich mir? So sei es. Wenn ich keine Prinzessin erhalten soll, dann auch niemand anderes." Er schnippte mit den Fingern und bis auf die beiden jüngsten Kinder fielen alle auf der Stelle tot zu Boden.

Dann wandte sich der Große Zauberer zu den trauernden Adeligen um und sein Zorn lies seine Krone rot aufflackern. "Dies geschieht mit allen, die sich mir widersetzen! Eure Leben sind zerstört, aber noch nicht beendet. Ihr sollt ewig leben, auf dass ihr diesen Tag für immer bereut. Ich bin fertig mit allen von euch!" Und mit diesen Worten wandte er sich von ihren Hallen ab und schritt zurück über den Fluss.


Liest man nun diese Stelle in dem finalen Regelwerk, Abschnitt "Chapter 1: History of the Realm" ab Seite 13, so wird man eine entscheidene Änderung erkennen (Übersetzung erneut von mir):

ZitatWährend der Zauberer fort war, gründeten der neue König und die Königin eine Familie: sieben tapfere Söhne und sieben schlaue Töchter. Als der Zauberer schließlich mit der Krone der Herrschaft auf seinem Haupt zurückkehrte, sah er, dass die Stämme der Menschheit sich entwickelt und für sich ein Auskommen geschaffen hatten. Nun verlangte er nach seiner eigenen Belohnung. Der Große Zauberer verlangte nach den zwei ältesten Kindern, einem Sohn und einer Tochter, auf dass diese ihn als Lehrlinge auf seinen Reisen begleiteten. Freiwillig gingen sie mit ihm.
Drei Jahre später kam der Zauberer zurück. Der Sohn und die Tochter standen nicht länger an seiner Seite. Er wiederholte seine Forderung nach zwei Kindern: dem ältesten Sohn und der ältesten Tochter. Nach einem Moment der Ängstlichkeit stimmten sie zu. Alle drei Jahre wiederholte sich nun dieses Ritual. Der Zauberer würde zurückkehren und zwei weitere Kinder fordern, doch waren diese jedes Mal weniger und weniger bereit, mit ihm zu gehen.
Was machte der Zauberer mit diesen Prinzen und Prinzessinnen? Warum kehrten sie nie zurück? Lehrte er sie die Geheimnisse des Universums und schickte sie dann auf ihren eigenen Weg? Vielleicht. Behandelte er sie zu streng und verwandelte sie in Tiere, sobald sie ihn erzürnten? Es ist möglich. Opferte er ihre jugendliche Energie in finsteren und grauenvollen Ritualen, um damit die Dämonen zu beschwichtigen? Das befürchteten viele.
Und so kam es, als der Zauberer ein siebtes Mal zurückkam, dass der König und die Königin seine Forderung ablehnten. Sie hatten nur noch einen Sohn und eine Tochter übrig, ihre jüngsten, und sie weigerten sich, auch diese wegzugeben.
Der Zauberer war außer sich vor Zorn. "Ich habe euch all dies gegeben. Ich war es, der euer Volk aus den Ödlanden geführt hat. Ich war es, der euch ein lebenswertes Leben, ein fruchtbares Land und - vor allem - die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben hat. Und obwohl ich nur nach einer Kleinigkeit als Gegenleistung frage, verwehrt ihr euch mir? Diesen Fehler werdet ihr euer Leben lang bereuen!"
Er schnippte mit den Fingern und die beiden jüngsten Kinder fielen auf der Stelle tot zu Boden.

Dann wandte sich der Große Zauberer zu den erstaunten Eltern um und sein Zorn lies seine Krone rot aufflackern. "Dies geschieht mit allen, die sich mir widersetzen! Alle eure Kinder sind euch nun genommen worden und niemals sollt ihr sie wiedersehen. Aber mit eurem Schmerz sollt ihr ewig leben, auf dass ihr diesen Verrat für immer bereut. Ich bin fertig mit allen von euch!" Und mit diesen Worten wandte er sich von ihren Hallen ab und schritt zurück über den Fluss.

So, nun kann man mal spekulieren, warum diese Änderung vorgenommen worden ist. Zunächst einmal fällt auf, dass in beiden Fällen hier auf die Macht der Krone der Herrschaft eingegangen wird, die ja auch der "MacGuffin" einer Standardpartie im Talisman-Brettspiel ist. Der Spieler, der als erstes die Krone der Herrschaft auf dem zentralen Feld des Spielplans erreicht, muss die übrigen Spieler fragen, ob sie aufgeben und sich ihm unterwerfen oder nicht. Im letzteren Fall kann er einem anderen Spielercharakter Schaden zufügen. Dies geht dann solange weiter, bis alle aufgegeben haben oder tot sind.
Dies ist im Grunde auch das, was der Große Zauberer hier macht. Gleichzeitig verdammt er sie zu ewigem Leben, was zwar so in der Brettspielvorlage nicht durchscheint (zumindest nicht, dass ich wüsste), aber gleichzeitig den Boden bereitet für das relativ statische Reich (The Realm), dass sich nie groß weiterzuentwickeln scheint und in seine klaren Zonen (Bereiche) aufgeteilt bleibt.

Aber warum diese Änderung? Ich denke, dies ist auf die Einflüsse der political correctness und vermutlich auf das Feedback von SJW-Minderheiten zurückzuführen. Im ersten Falle wird der Große Zauberer als seniler, alter Lustbock dargestellt, während die Prinzessinnen als naive Lustobjekte wahrgenommen werden könnten, die unter dem pösen PatriarchatTM alter, weißer (zaubernder) Männer und seinem systemischen SexismusTM herabgesetzt werden und in Tränen ausbrechen. Zudem werden in der neueren Version immer beide Geschlechter des royalen Paares genannt, während in der Erstfassung nur der König aktiv in Erscheinung tritt.
Natürlich ist dies alles reine Spekulation meinerseits. Ich wate derzeit durch dieses Thema (Gender Politics, Intersektionaler Feminismus, Critical Race Theory etc.) und setze mich damit auseinander, daher ist meine Brille womöglich dementsprechend eingefärbt. Aber sei es wie es sei - die Änderungen fanden statt. Und tatsächlich begrüße ich das sogar, denn die neue Geschichte ist imho wesentlich interessanter. Zwar überleben in der alten Fassung die jüngsten Königskinder, während in der aktuellen Version alle Nachkommen von König und Königin tot oder zumindest verschollen sind. Aber es bleibt offen, was wirklich mit den Geschwistern passiert ist, was viele Deutungsmöglichkeiten und damit Abenteuer- und Hintergrundideen anbietet. Außerdem macht es auch den Großen Zauberer weniger klischeehaft und lässt ihn einen Hauch vielschichtiger erscheinen - auch wenn er am Ende als ziemlicher Arsch 'rüberkommt.   ;)

In Memoriam Gary Gygax (1938-2008), Dave Arneson (1947-2009), Joe Dever (1956-2016), Greg Stafford (1948-2018), Terry K. Amthor (1958-2021) und Ingo Schulze (1977-2021)
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