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[Setting] URBAN ARCANA

Begonnen von Argamae, 21. Juni 2009, 16:17:57

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Argamae

Was D20 MODERN von den vielen anderen kontemporären Actionrollenspielen abhebt (und die Konkurrenz ist hier wahrlich hochkarätig), ist seine Verwandtschaft zur Fantasy-Ikone D&D. Das kriegt man bereits im Grundregelwerk entsprechend serviert: Völker, Rassen, Monster, Zaubersprüche, magische Gegenstände - hier ist viel aus den Fantasywurzeln herüber gewachsen. Aber das macht D20 MODERN auch so interessant und rechtfertigt seine Existenz. Und da hat man diese Nähe auch gleich zur Tugend erhoben und drei Kampagnenbeispiele im Grundregelwerk beigesteuert, die den Hauch von D&D verströmen (siehe Systembesprechung).

Ganz besonders stark ist dieser Hauch im Settingbeispiel URBAN ARCANA - was mich zum Thema bringt, denn ich möchte hier ein paar Worte zu diesem Hintergrund verlieren, der als eigenständiges Hardcover-Setting bereits 2003 erschienen ist.



Das Grundkonzept von URBAN ARCANA ist schnell erklärt: die Grenze zu anderen Welten/Dimensionen ist auf der Erde abgeschwächt und wird von diversen Fantasykreaturen und -elementen übertreten (kollektiv Shadowkind genannt), die sich fortan in unserer modernen, "aufgeschlossenen" Welt durchschlagen müssen. Trolle in den Kanalisation? Drachen auf dem Brandenburger Tor? Elfen im Yellowstone Nationalpark? Orks in den Zechen des Ruhrgebiets? Britische Magieschüler an einer unsichtbaren Elite-Universität? Alles möglich in URBAN ARCANA. Für wen das klingt wie dreist geklaut von WoD oder wie Shadowrun für Arme, dem sei gesagt, daß die Ähnlichkeiten sich alsbald erschöpfen. Denn URBAN ARCANA hat seinen eigenen "Dreh" bei dieser ganzen Sache.
Denn die meisten Menschen sehen das Fantastische nicht als das, was es ist. Sie sehen nur, was sie sehen wollen bzw. ihr Gehirn und ihre "Konditionierung" sie zu sehen erlaubt. Dadurch könnte ein drei Meter großer Oger durch die Fußgängerzone gehen und wird entweder gar nicht oder als bulliger Hüne wahrgenommen. Natürlich sind die Helden aus anderem Holz geschnitzt, denn sie sind sehr wohl in der Lage, die wirkliche WirklichkeitTM zu erkennen - oder aber sie lernen es schon bald (wie in Sie Leben, falls das jemandem etwas sagt).
Das Fenster der Möglichkeiten, daß durch dieses Konzept aufgestoßen wird, ist groß. Hier dreht URBAN ARCANA im Grunde den alten Spieß um: unsere frühzeitlichen Legenden von Drachen, Feen und Hexen haben Generationen von irdischen Autoren zu phantastischen Geschichten animiert, weil sie auf genau solchen phantastischen Welten und Dimensionen fußten! Das, was also in moderner Zeit Autoren als ,,Fantasywelten" verkaufen, hat also in der Realität seinen Ursprung.

Wer allerdings nun ein komplexes Kampagnensetting erwartet, das detaillierte Infos zu Zeitgeschichte, Hintergrund und Zusammenhängen bietet (etwa, wie es Shadowrun macht), wird von URBAN ARCANA wohl sehr enttäuscht. Denn die 300+ Seiten bieten nur wenig Kohärentes; stattdessen wird ein bunter Setzkasten mit vielen Spiel- und Bauteilen geliefert, aus dem man sich bedienen muß, um sein eigenes URBAN ARCANA Setting zu gestalten. Schon die Herkunft der Shadowkind wird nur in groben Zügen skizziert. Woher stammen sie? Wie genau kamen sie auf die Erde? Warum kamen sie auf die Erde? Was haben sie vorher gemacht? Was wollen sie jetzt machen? Diese Fragen bleiben zwar nicht alle unbeantwortet, aber die Antworten darauf sind nicht absolut. Ansätze zur Planung einer URBAN ARCANA Kampagne beinhalten auch den eigenen Wohnort vor der Haustür, den man als Grundlage nehmen kann, um ihn dann entsprechend zu ,,verfremden".

Aber ist das schlecht? Für die Zwecke dieses speziellen Genres empfinde ich es eher als Segen, dass nicht alles vorgekaut bzw. beschrieben ist. Es gibt keinen festen Kanon, daher kann man auch nichts ,,falsch" machen. Wer die Idee hat, dass der amerikanische Präsident in Wirklichkeit ein Yuan-Ti sei, der den Nahen Osten säubern will, um ein neues Reich der Schlangen in der Wüste zu errichten, dem sagt kein Quellenband, dass dies nicht ginge. In seinem persönlichen URBAN ARCANA Universum kann man das eben so machen.

Mich jedenfalls hat das Konzept seit langem mal wieder regelrecht gefesselt, eben weil es kreative Prozesse in Gang setzt. Man fühlt sich vom Druck eines Kanons befreit, kann einfach wild drauf los phantasieren und sich irgendwo einen (geographischen) Punkt suchen, an dem man mit URBAN ARCANA loslegt. Das größere ,,Bild" kann man dann nach und nach weiter entwickeln, neue Verflechtungen einbauen und sich der Elemente aus dem Buch nach Belieben bedienen.



Doch nicht alles, was in URBAN ARCANA vorgestellt wird, ist auch Gold, dass glänzt. Richtig gut sind die Abschnitte über neue Charakterrassen (die neben den D&D-Standards wie Zwerge, Elfen und Halblinge eben auch jede Menge ,,Monster" bereithalten), die neuen Advanced Classes sowie die auf die moderne Welt zugeschnittene Magie. Klassen wie der Techno-Mage bilden dann auch die entsprechende Schnittstelle zwischen Computerzeitalter und arkanen Zauberformeln. Ganz besonders gelungen ist auch der Part über ,,Incantations" – langwierigen Ritualen, die auch von denen ausgeübt werden können, die keiner zaubernden Charakterklasse angehören. Dies wird maßgeblich über Skill Checks und eine bestimmte Anzahl an Erfolgen geregelt, aber ist auch richtig schwierig (DC zwischen 30 und 40). Detaillierte Regeln zum Erstellen eigener Incantations erweitern diese coole Grundidee nochmals.

Weniger gelungen sind die Elemente des Buches, die sich zu sehr mit der Planung einer eigenen Kampagnenstadt beschäftigen. In einem Setting, dass an vielen Stellen darauf verweist, die heutige Welt vor dem heimischen Fenster als Grundlage zu nehmen, gehen die Autoren dann über viele Seiten auf den Aufbau von Städten ein, welche besonderen Stadtteile es gibt, wie viele hervorstechende Örtlichkeiten ein Block hat, etc. pp. Zwar sind die einzelnen Abenteuerideen für bestimmte Stadtteile nicht uninteressant (und können auch für geübte SL sehr inspirativ sein), aber insgesamt wirkt es doch eher wie ein Regelelement, dass man besser ins ,,Muttersystem" D20 MODERN gepackt hätte.
Die ausgiebigen SL-Tipps zum Bau von Abenteuern und Kampagnen sind für erfahrene SL weniger interessant, gehen aber für Neulinge sehr schön auf den Baukastencharakter des Buches ein und zeigen ihm auf, Stück für Stück seine vertraute Welt mit Fantasyelementen anzureichern.

Mit gemischten Gefühlen habe ich den Abschnitt über Organisationen in URBAN ARCANA gelesen. Neben einigen guten Ideen und spannenden Gesellschaften finden sich auch manche Langweiler bzw. ,,übliche Verdächtige", wie die bösen Dämonenbiker oder die wohlmeinende Regierungsgruppe, die dem Wohle aller (sprich: Normalos und Shadowkind) dienen will. Ein paar Gruppen sind auch dabei, bei denen man sich fragt, was nun genau ihr tieferer Sinn und Zweck sein soll. Eine Gruppe fehlte mir auch irgendwie: eine Vereinigung von Rollenspielern, die den Kampf jetzt vom Spieltisch auf die Straße tragen! Womit man auch gleichermaßen das eigene Hobby in sich selbst persiflieren könnte. ;-)
Wie es sich für ein Produkt aus dem Hause von D&D gehört, gibt es natürlich auch wieder neue magische Gegenstände, die man in seine moderne Fantasy einbauen kann. Ich persönlich habe mich beim Lesen der Listen köstlich unterhalten gefühlt, denn so ein ,,Parka der Wärme" oder die ,,Kettensäge des Psycho" sind einfach zu geil. Insgesamt eine Bereicherung für das Setting, denn schließlich ist es D&D-Fantasy in der modernen Welt, nicht mehr und nicht weniger.

Fazit: URBAN ARCANA und das D20 MODERN Regelsystem gehen zusammen wie Götterspeise und Vanillesoße. Das eine scheint für das andere geschaffen worden zu sein. Tatsächlich soll wohl die Grundidee von Urban Arcana zur Formulierung von D20 Modern geführt haben, wie ich mittlerweile herausgefunden habe. Verwundert gar nicht.
URBAN ARCANA hat einen eigenen Stil, jede Menge launige Ideen und eröffnet eine solche Bandbreite an Schauplätzen und Abenteuerideen, dass man gar nicht weiß, wo man beginnen soll! Trotz einiger Schwächen und dem Fehlen eines kohärenten, detaillierten Settings (was je nach Geschmack für viele ein großes Manko darstellen könnte) ist URBAN ARCANA ganz großes Kino.
In Memoriam Gary Gygax (1938-2008), Dave Arneson (1947-2009), Joe Dever (1956-2016), Greg Stafford (1948-2018), Terry K. Amthor (1958-2021) und Ingo Schulze (1977-2021)
|It's all fun and games - until somebody fails a saving throw!| D&D Meme

Zy-Nist

Und wieso denke ich jetzt eigentlich Shadowrun  ???
Ich habe schon Probleme mit WELT 1.0 !
Was zum Geier soll ich dann mit WEB 2.0 ?

Das System und du:
1.) Das System gewinnt immer !
2.) Sollte das System irgendwann mal verlieren, bricht es zusammen !
3.) Bricht das System zusammen, dann hast du ganz andere Probleme als irgendein System !

Argamae

Für Interessierte: ich habe in einem anderen Forum auch eine Diskussion hierzu angeregt, ferner wird dort auch auf das Genre "Urban Fantasy" eingegangen.
In Memoriam Gary Gygax (1938-2008), Dave Arneson (1947-2009), Joe Dever (1956-2016), Greg Stafford (1948-2018), Terry K. Amthor (1958-2021) und Ingo Schulze (1977-2021)
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Greifenklaue

Zitat von: Zy-Nist am 22. Juni 2009, 08:31:01
Und wieso denke ich jetzt eigentlich Shadowrun  ???

Mich erinnert da recht wenig an Shadowrun, zum Glück  ;)
"In den letzten zehn Jahren hat sich unser Territorium halbiert, mehr als zwanzig Siedlungen sind der Verderbnis anheim gefallen, doch nun steht eine neue Generation Grenzer vor mir. Diesmal schlagen wir zurück und holen uns wieder, was unseres ist.
Schwarzauge wird büssen."

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